Original-Titel: Spend time outdoors for your brain – an in-depth longitudinal MRI study
Autoren: Kühn, Simone; Mascherek, Anna; Filevich, Elisa; Lisofsky, Nina; Becker, Maxi; Butler, Oisin; Lochstet, Martyna; Mårtensson, Johan; Wenger, Elisabeth; Lindenberger, Ulman; Gallinat, Jürgen
Lise-Meitner-Gruppe für Umweltneurowissenschaften, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, Deutschland; Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
Quelle: https://doi.org/10.1080/15622975.2021.1938670
Hinweis: Diese wissenschaftliche Studie ist für jedermann frei zugänglich und wurde von mir ins Deutsche übertragen. Die Hervorhebungen stammen von mir.
Worum ging es in der Studie?
Es wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt im Freien und der strukturellen Plastizität des Gehirns in Verbindung mit selbstberichteten Affekten gibt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich unsere Gehirnstruktur und unsere Stimmung verbessern, wenn wir Zeit im Freien verbringen. Es ist anzunehmen, dass sich dies auch auf die Konzentration, das Arbeitsgedächtnis und die Psyche insgesamt auswirkt. Dies untersuchen wir in einer aktuell laufenden Studie, in der die Probanden zusätzlich Denkaufgaben lösen müssen und zahlreiche Sensoren tragen, die beispielsweise die Lichtmenge messen, der sie am Tag ausgesetzt sind“, sagt Simone Kühn, Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautorin der Studie. Quelle: https://idw-online.de/de/news772875
Ergebnisse:
- Eine Ganzhirnanalyse ergab, dass die im Freien verbrachte Zeit positiv mit dem Volumen der grauen Substanz im rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex und dem positiven Affekt assoziiert war
- Am auffälligsten und unabhängig vom Affekt beobachteten wir, dass mehr im Freien verbrachte Stunden mit einem höheren Volumen der grauen Substanz im rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex verbunden waren.
- Die Ergebnisse deuten auf eine bemerkenswerte und potentiell verhaltensrelevante Plastizität der zerebralen Struktur innerhalb eines kurzen Zeitrahmens hin, der durch die täglich im Freien verbrachte Zeit bestimmt wird.
- Dies ist kompatibel mit anekdotischer Evidenz für die gesundheits- und stimmungsfördernden Effekte des Spazierengehens.
- Die im Freien verbrachten Stunden blieben ein signifikanter Prädiktor, aber die Stunden der freien Zeit und die Sonnenscheindauer waren ebenfalls prädiktiv für den positiven Affekt, während die Flüssigkeitsmenge und die körperliche Aktivität nicht signifikant waren.
- Die Studie könnte den ersten Beweis für zugrundeliegende zerebrale Mechanismen von sogenannten grünen Rezepten liefern, mit möglichen Konsequenzen für zukünftige Interventionen bei psychischen Störungen.
- Die Tatsache, dass wir eine Veränderung der grauen Substanz im DLPFC in der Größenordnung von 3 % gefunden haben, steht im Einklang mit vielen experimentellen Studien, in denen Teilnehmer Interventionen ausgesetzt wurden, von denen bekannt ist, dass sie sich positiv auf das Gehirn auswirken, z. B. körperliche Bewegung oder kognitives Training, bei denen die Zuwächse in der Regel bei 2-5 % des Volumens der grauen Substanz liegen. Es ist daher bemerkenswert, dass wir in diesem naturalistischeren Studiendesign, das tägliche Variationen bewertet, Effekte von ähnlicher Größe finden.
- Eine Einschränkung der vorliegenden Studie ist die kleine und selektive Stichprobe. Die Teilnehmer hatten keinen exzessiven Nikotin-, Alkohol- und oder Drogenkonsum, was eine Kontrolle dieser Variablen ausschließt.
- Zusammenfassend unterstreicht das vorliegende Ergebnis die Bedeutung der Art und Weise, wie und in welcher Umgebung (drinnen vs. draußen) wir unser tägliches Leben verbringen.
- Da psychiatrische Störungen durchweg mit präfrontalen Strukturdefiziten assoziiert wurden, könnten sogenannte Outdoor-Rezepte ein hilfreiches Mittel sein, um diesen neuronalen Veränderungen entgegenzuwirken und die Stimmung zu verbessern.
- Aufgrund der Relevanz der präfrontalen Funktionen in unserer Gesellschaft insgesamt könnten Maßnahmen, die darauf abzielen, die Zeit, die im Freien verbracht wird, auf Bevölkerungsebene zu erhöhen, eine interessante Implikation der vorliegenden Ergebnisse sein.
Weitere Details:
- Es wurden sechs medikamentenfreie, gesunde und aktuell in der Stadt lebende Personen (Alter 24-32 Jahre, ein Mann, alle wohnhaft in Berlin) untersucht
- Die Teilnehmer arbeiteten am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
- Die meisten Teilnehmer wurden etwa zweimal pro Woche gescannt, zwischen Sommer 2013 und Anfang 2014 über einen Zeitraum von 6- 8 Monaten, insgesamt 40- 50 Messpunkte
- Es wurde erfragt:
- die selbstberichtete Zeit, die im Freien verbracht wurde („Wie viel Zeit haben Sie in den letzten 24 h im Freien verbracht? (in Stunden)
- Flüssigkeitsaufnahme („Wie viel haben Sie in den letzten 24 h getrunken? (in Litern)
- die Freizeit („Wie viel Freizeit hatten Sie in den letzten 24 h? (in Stunden)
- Menge an koffeinhaltigen Getränken („Wie viele Tassen koffeinhaltiger Getränke haben Sie in den letzten 24 h getrunken?
- Menge an körperlicher Bewegung (‚Wie viele Stunden haben Sie sich in den letzten 24 Stunden körperlich bewegt?‘ (in Stunden)
- Fragebogen zum momentanen Affekt (Positive and Negative Affect Schedule, PANAS) (Watson et al. 1988)
- Gerät zur Verfolgung der körperlichen Aktivität, das die Anzahl der Schritte (Fitbit One, San Francisco, USA) auf täglicher Basis maß
- Um saisonale Unterschiede zu erfassen, wurden die täglichen Sonnenstunden vom Deutschen Wetterdienst ermittelt
Abbildung 1. (A) Illustration der von einem einzelnen Probanden gesammelten Daten, (B) Cluster im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC), die eine positive Assoziation zwischen der Wahrscheinlichkeit der grauen Substanz und den selbstberichteten Stunden, die im Freien verbracht wurden, zeigen, und (C) nur zur Veranschaulichung stellen wir ein Liniendiagramm dar, das die Regression der extrahierten Werte der grauen Substanz jedes Probanden aus dem DLPFC (rechts) zeigt, die y-Achse hat einen Bruch, wie durch das Bruch-Symbol angezeigt.